Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen„Man braucht ein dickes Fell“

Seit über einem halben Jahr ist das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche aus dem Gesetz gestrichen. Wir haben mit der Sexualpädagogin Nina Schernus darüber gesprochen, was sich seitdem verändert hat. Und was sich noch ändern muss, damit ungewollt Schwangere an zuverlässige Informationen kommen.

Links: Nina Schernus, Rechts: Demoschild "Mein Uterus, meine Entscheidung"
Der Kampf um reproduktive Rechte existiert schon lange. Porträt: Rembert Baermann (alle Rechte vorbehalten)| Demoschild: Bärbel Miemietz (CC BY-SA 4.0)

Laut Statistischem Bundesamt gab es 2021 in Deutschland knapp 95.000 Schwangerschaftsabbrüche. Ungewollt Schwangere stehen immer noch vor großen Hürden, doch seit Juli 2022 ist der Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs gestrichen. Das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche kriminalisierte beispielsweise Ärzt:innen, die auf ihren Websites Informationen zum Thema gaben – und erschwerte so den Informationszugang für Personen mit Konfliktschwangerschaften.

Mittlerweile dürfen die Mediziner:innen öffentlich bekanntgeben, dass und wie sie die Behandlung in ihren Praxen durchführen – ohne dafür rechtlich verfolgt zu werden. Zuvor hatten Abtreibungsgegner:innen hatten den Paragrafen beispielsweise genutzt, um Ärzt:innen anzuzeigen.

Doch wie hat sich die Situation in der Praxis geändert? Zum Feministischen Kampftag haben wir mit Nina Schernus gesprochen, um über reproduktive Rechte und Entwicklungen seit der Abschaffung von Paragraf 219a zu sprechen. Schernus ist am Feministischen Frauen Gesundheitszentrum e.V. (FFGZ) in Berlin tätig.


netzpolitik.org: Wir sprechen zum Anlass des Feministischen Kampftags. Warum ist das Thema Schwangerschaftsabbruch ein Teil des feministischen Kampfes?

Nina Schernus: Der Kampf um reproduktive Rechte ist einer der ältesten feministischen Kämpfe überhaupt. Er mobilisiert Menschen, weil es ein sehr persönliches und gleichzeitig unheimlich gesellschaftlich aufgeladenes Thema ist. Solange Schwangerschaftsabbrüche nicht vollständig legalisiert sind, wird es ein feministisches Thema sein. Selbst wenn es eine Straffreiheit gibt, ist es immer noch ein gesundheitspolitisches Thema und wird uns auch darüber hinaus begleiten.

netzpolitik.org: In welcher Rolle bist du tätig?

Nina Schernus: Ich habe zwei Zugänge zu dem Thema. Zum einen habe ich in der Schwangerschaftsberatung gearbeitet und Menschen begleitet, die ungeplant bis ungewollt schwanger waren. Gleichzeitig habe ich als Sexualpädagogin und Feministin dadurch einen Zugang, dass es um sexuelle und reproduktive Rechte geht. Deshalb arbeite ich am Feministischen Frauengesundheitszentrum.

Wir haben als FFGZ einen recht guten Überblick über die medizinische Landschaft in Berlin und das Leistungspektrum von gynäkologischen Praxen. Das heißt, dass wir Menschen auf der Suche nach der:dem passenden Gynäkolog:in unterstützen können. Das war vor der Abschaffung von 219a sehr hilfreich. Aber auch heute suchen Menschen immer noch nach Gynäkolog:innen, an die sie sich wenden können.

netzpolitik.org: Paragraf 219a wurde im Juni 2022 abgeschafft. Wie hat sich der Zugang zu Informationen im Netz seitdem verändert?

Nina Schernus: Es gibt vor allem zwei Informationsquellen: Die eine sind Ärzt:innen, die Abbrüche durchführen, das andere sind generelle Informationen zum Thema. Die Problematik an 219a war vor allem, dass ich nicht einfach bei Ärzt:innen schauen konnte, ob sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten oder nicht. Menschen mussten sich durchtelefonieren. Und das waren in der Regel belastende und keine angenehmen Telefonate.

Ich glaube, dass seit der Abschaffung von 219a zumindest allgemeine Informationen leichter zu finden sind. In der Theorie einfach dadurch, dass weniger legale Handhabungen gegeben ist, um gegen Ärzt:innen vorzugehen.

netzpolitik.org: Du sagst, in der Theorie – wie ist deine Erfahrung aus der Praxis?

Nina Schernus: Das eine ist, was legal ist und was auf dem Papier steht. Das andere ist, was gesellschaftlich passiert. Die Streichung reicht nicht aus, um Ärzt:innen die Sicherheit zu geben, dass sie tatsächlich keine negativen Folgen zu erwarten haben, wenn sie sich in diesem sehr polarisierenden Thema positionieren. Es ist jedes Mal eine Entscheidung der Gynäkolog:innen, weil sie so aus einem Schonraum austreten und sich angreifbar machen.

netzpolitik.org: Informieren jetzt tatsächlich mehr Menschen bei Ärzt:innen im Netz?

Nina Schernus: Tatsächlich habe ich leider keine Zahlen. Was ich sagen kann: Wir haben nicht weniger Anrufe, wenn es darum geht „Ich bin schwanger, was kann ich tun?“ als vor Juli 2022. Ich kann mir aber vorstellen, dass Gynäkolog:innen, die vorher schon mutig waren, eine Haltung hatten und das öffentlich behandelt haben, auf jeden Fall profitieren. Aber ich gehe nicht davon aus, dass alle, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, das auch auf ihre Website schreiben.

Über Stigma und Barrieren

netzpolitik.org: Sind die Ärzt:innen, die Informationen über Schwangerschaftsabbrüche anbieten, auch mehr Hass und Stigmatisierung ausgesetzt?

Nina Schernus: Von Seiten der „Lebensschützer“ gibt es auf jeden Fall viele Reaktionen auf Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Gynäkolog:innen machen manchmal öffentlich, wie sie immer wieder angeschrieben und beleidigt werden.

Man ist angreifbar und braucht ein dickes Fell, um solche Hassmails nicht an sich ranzulassen. Ich habe als Schwangerschaftskonfliktberaterin auch solche Mails bekommen. Damit bist du einfach konfrontiert, wenn du deine Position öffentlich machst.

netzpolitik.org: Wie sieht es für Leute in Gegenden aus, wo nur wenig Ärzt:innen Abbrüche durchführen?

Nina Schernus: Wir in Berlin sind in einer teilweise privilegierten Situation. Es gibt zwar Probleme, wenn man einen Abbruch machen willst. Aber im Endeffekt wirst du ein:e Ärzt:in finden. In manchen Gegenden von Deutschland gibt es die Möglichkeit nicht, weil es einfach kaum noch Ärzt:innen gibt und aktuell kaum Bestreben gezeigt wird, in der ärztlichen Ausbildung tatsächlich das Thema Schwangerschaftsabbruch zu vertiefen.

netzpolitik.org: Nicht nur im Stadt-Land-Vergleich tauchen Probleme in der Aufklärung auf. Gibt es denn Angebote für Nicht-Muttersprachler:innen?

Nina Schernus: Menschen, die im Gesundheitssystem hinten runterfallen, durch Sprachbarrieren oder andere Diskriminierungssituationen, haben weiterhin Schwierigkeiten. Wenn sie Glück haben, geraten sie an eine Beratungsstelle, die es irgendwie schafft, Sprachbarrieren zu überwinden. In der Praxis gelingt das selbst in Berlin nur peripher.

Ich hatte in der Beratung Situationen, wo ich mit Übersetzungs-Websites und Händen und Füßen versucht habe, Menschen an die richtigen Adressen zu bringen und sie durch die ganzen Fristenregelungen zu leiten. Das braucht viel Zeit und die Menschen müssen überhaupt die Kapazitäten haben, zu diesen Stellen zu kommen. Es gibt aber mittlerweile Apps in verschiedenen Sprachen, die Menschen in Gesundheitsfragen unterstützen.

„Fotos von weinenden Frauen und glücklichen Babys sind Warnzeichen“

netzpolitik.org: Eine der ersten Seiten, auf denen man per Google mit der Stichwortsuche „Abtreibung“ landet, ist profemina.org – noch vor Pro Familia. Die Seite wird Abtreibungsgegner:innen zugeordnet, was auf den ersten Blick aber nicht auffällt. Wie kann man die Informationen, die man im Netz findet, gut einordnen?

Nina Schernus: Dass man schneller bei Profemina landet als bei Pro Familia, liegt an der Begrifflichkeit. Neutralere Seiten nutzen den Begriff „Schwangerschaftsabbruch“ statt „Abtreibung“. Das ist ein Dilemma, mit dem Beratungsstellen konfrontiert sind: Sie wollen dieses Wording nicht übernehmen, landen so aber nicht auf Platz eins der Google-Suche.

Wenn man selbst nach einer Beratung sucht, ist es vor allem wichtig zu schauen, ob die Beratungsstelle einen Beratungsschein ausstellt. Das ist auf den Seiten in der Regel gekennzeichnet. Die einzige offizielle Stelle, die das nicht macht, ist die Caritas, weil es eine katholische Einrichtung ist. Diese kennzeichnet das in der Regel aber auch dementsprechend.

Wenn das nicht vermerkt ist, dann ist es schon mal ein Zeichen für „Finger weg“. Weiteres Anzeichen, auf die man achten sollte: Wenn das Wording auf sehr pathetisch ist und teilweise auch mit Bildern gearbeitet wird – also mit Fotos von weinenden Frauen und glücklichen Babys – das ist auch ein Warnzeichen.

netzpolitik.org: Was sind die besten Stellen, um sich zu informieren?

Nina Schernus: Innerhalb von Deutschland auf jeden Fall Pro Familia, weil sie jahrzehntelange Erfahrung und sowohl einen politischen als auch einen beraterischen Blick darauf haben. In Berlin gibt es noch den HVD, Familienplanung.de ist auch nicht schlecht. Es gibt auch die politische Plattform „Sexuelle Selbstbestimmung“, und natürlich Gynäkolog:innen.

Es braucht Niedrigschwelligkeit

netzpolitik.org: Es gab 2021 ein Pilotprojekt zu medikamentösem Schwangerschaftsabbruch, der per Videogespräch begleitet wird. Kann digitale Beratung eine Möglichkeit sein, niedrigschwelligen Zugang zu nötiger Versorgung zu bieten?

Nina Schernus: Durch die Corona-Pandemie gab es die Möglichkeit, per Videotelefonie oder Telefon Beratungsgespräche durchzuführen. Das war eine große Erleichterung für viele, weil es niedrigschwellig war – es kann belastend sein, durch die ganze Stadt zu fahren, um sich eine Beratung zu holen. Dahingehend wünsche ich mir mehr.

Es braucht aber auch zum Thema medikamentöser Schwangerschaftsabbruch noch mehr Informationen. Es gibt sehr viele Menschen, die von der Möglichkeit gar nichts wissen. Natürlich ist das auch einfach ein feministisches Thema, weil es ein Abbruch ist, der nochmal selbstbestimmter durchgeführt werden kann.

netzpolitik.org: Welche konkreten Regulierungen über die Erlaubnis von medizinischer Information hinweg wünschst du dir, um schwangeren Personen im Konflikt den bestmöglichen Zugang zu Informationen zu geben?

Nina Schernus: Eine niedrigschwellige Plattform, auf der Ärzt:innen zu finden sind, in leichter und verschiedenen Sprachen zugänglich. Es gibt schon Schwangerschaftsabbrüche, die können zum Beispiel über Doctolib gebucht werden. Das ist ein ganz guter Anfang, weil es niedrigschwellig ist.

Die Elsa-Studie zum Thema Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland hat klargemacht: Es gibt unheimlich viele Versorgungslücken in Deutschland und es wird keine Energie reingesteckt, um das zu ändern. Das Thema muss in die medizinische Ausbildung aufgenommen werden.

Und ich wünsche ich mir eine Abschaffung der Pflichtberatung, die eine Barriere darstellt. Und wenn, dann muss sie so niedrigschwellig wie möglich stattfinden, etwa durch Videotelefonie.

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